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 Zum Schäfer wird man geboren
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Zum Schäfer wird
man geboren

Tagaus, tagein ist Johannes Meyer mit seiner Herde unterwegs. Rückenschmerzen, Rheuma, Arthritis inbegriffen. Aber es macht ihn stolz.

Von Tim In der Smitten

Niederrhein. Seit der Renaissance werden Schäfer in Europas Kunst, Literatur und Philosophie verehrt. Und die Sehnsucht nach dem guten Hirten, der seine Herde schützt, mag erklären, warum jung und alt in Entzückensschreie ausbrechen, erblicken sie Hirte und Herde. Der Schäfer des 21. Jahrhunderts hat sein Handy dabei und mitten auf einer Weide an der Bundesstraße 59 Position bezogen, um seine Herde im Blick zu haben. Er trägt eine schwarze Ledermütze, Windjacke, Strickpullover, einen Hosenschutz aus Leder und Wanderschuhe.

Johannes Meyer steht auf einer Wiese am Stadtrand von Mönchengladbach und ist wieder auf der Wanderschaft, die ihn diesmal bis Bonn führen soll. 502 Mutterschafe trotten über die Wiese, aber ihr Hüter erkennt im großen Wollknäuel: "Dort drüben hat sich ein Schaf hingelegt, sie wird in den nächsten zwei Stunden ihr Lamm kriegen." Auch als die Herde weiterzieht, weiß der Schäfer genau, wo sich das trächtige Muttertier gerade befindet: "Das ist Intuition. Zum Schäfer wird man geboren", behauptet der Hirte. Aber er ist sich nicht sicher, ob das für ihn selbst zutrifft. Er wuchs nicht in einer Schäferfamilie auf, und er übernahm keinen alten Familienbetrieb.

Der Mittfünfziger stammt aus Heinsberg und sei einst ein guter Gymnasiast gewesen, sagt er. Kurz vor den Abiklausuren brach er die Schule ab und machte eine Landwirtschaftslehre, dann den Schäfermeister und begann mit dem Aufbau seiner Herde. "Es war ein Traum, der mich nicht mehr los ließ", sagt er. Bei Johannes Meyer, der täglich bei Wind und Wetter draußen ist, machen sich Rückenschmerzen, Rheuma und Arthritis bemerkbar. Warum gibt er die Herde nicht auf? "Es ist ein Jahrtausende alter Beruf." Er stockt kurz. Dann nickt er und sagt: "Wann immer ich zu meinen Schafen komme und sich 500 Köpfe nach mir umdrehen, dann denke ich stolz, das ist meine Herde." Neugierig kommt ein wenige Wochen altes Lamm näher. Es wedelt mit dem Stummelschwänzen und blökt eifrig.

Bei dem Anblick möchte man Lammkoteletts auf ewig abschwören. Meyer sieht das anders. "Ich muss es", sagt er. Er verkauft Fleisch, um davon zu leben. "Gutes Fleisch, das nicht in der Pfanne zusammen fällt", erklärt er. Darum zieht er mit seinen Herden auch über die Wiesen der Bauern. Harte Burschen scheinen sie zu sein, diese Wander-Schäfer, von denen es in Deutschland noch rund 150 gibt. Genau wie die Gesetze ihres Gewerbes. "Der eine kreuze nicht des anderen Revier noch Weide, denn beide sind kostbar", sagt der Schäfer. Früher mussten die Bauern dafür zahlen dafür, dass Wanderschäfer nach der Ernte ihre Felder abweideten. Heute stellen Bauern eher Hinweise auf, dass Schäfer unerwünscht sind und Geld gibt es schon lange keines mehr.

Der Wind legt zu und Wangen des Schäfers färben sich in tiefes Rot. Kalt sei ihm nicht und er habe auch keinen Flachmann dabei. Doch er ist froh, dass er nicht den ganzen Winter draußen stehen muss. Nachts sucht er für die Herde umzäunte Weiden und lässt sich von einem Mitarbeiter abholen. Zwei Spaziergänger mit einem Rauhhaardackel umrunden die Herde. Der Dackel kläfft, und die Schafe sprengen auseinander. Tenna, die treue Mischlings-Hündin hat Mühe, die Herde zusammenzuhalten. Jahrhunderte lang schützten Schäfer ihre Schafe vor Hunger, Wölfen oder Viehdieben.

Heute drohen Autofahrer und die Freizeitgesellschaft. Reiter preschen durch die Herde oder Mütter mit Kinderwagen. Der Nachwuchs soll das Tier betätscheln und Natur erleben: "Um Erlaubnis fragt dabei keiner." Seine Stimme sei mit den Jahren energischer und die Nerven angespannter geworden. "Es liegt nicht am Wetter, und es liegt nicht am Geld", sagt Meyer nachdenklich. "Aber manchmal könnte einem schon die Lust vergehen."

 

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